Schwangerschaft und Geburt in Zeiten von Corona

„Reg Dich nicht auf, ist schlecht für’s Kind“ – das ist vermutlich der Satz, den ich in meiner Schwangerschaft bislang am meisten gehört habe. Doch das mit der Ruhe finde ich aktuell durchaus herausfordernd, denn da ist ja dieses kleine Detail einer Pandemie mit neuerlich wieder steigenden Infektionszahlen, das mich umgibt und sich gravierend auf die Rahmenbedingungen meiner Schwangerschaft auswirkt. Während sich sowohl Ärzt:innen, Geburtshelfer:innen wie auch mein komplettes soziales Umfeld darin einig sind, dass Ruhe und Entspannung in diesen Monaten doch das wichtigste für mich und mein ungeborenes Kind wären, sorgen die Corona-Regeln für Praxisbesuche, Schwangerenbetreuung und Entbindung nicht[…]
Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Petra Sood, Geschäftsführerin bei Kulmine: Eine möglichst natürliche und sanfte Schwangerschaft sowie die Geburt sind Themen, mit denen mich seit 45 Jahren eine Leidenschaft verbindet. Bei Kulmine findest du dazu viele Artikel, wie etwa diesen. Wenig hat mich so empört, wie dass die Geburt im Gesundheitswesen zunehmend ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet wird. Die Corona-Regeln machen nun in den meisten Krankenhäusern die Bedingungen noch zusätzlich schwierig. Sophie ist genau in dieser Zeit schwanger und schreibt, wie es ihr geht und wie sie die Lage einschätzt.

Ich wünsche Sophie, dass sie während der Geburt auf Menschen trifft, die sie gut unterstützen und sie aufmerksam und fürsorglich begleiten!

„Reg Dich nicht auf, ist schlecht fürs Kind!“

„Reg Dich nicht auf, ist schlecht fürs Kind“ – das ist vermutlich der Satz, den ich in meiner Schwangerschaft bislang am meisten gehört habe. Doch das mit der Ruhe finde ich aktuell durchaus herausfordernd, denn da ist ja dieses kleine Detail einer Pandemie mit neuerlich wieder steigenden Infektionszahlen, das mich umgibt und sich gravierend auf die Rahmenbedingungen meiner Schwangerschaft auswirkt. Während sich sowohl Ärzt:innen, Geburtshelfer:innen wie auch mein komplettes soziales Umfeld darin einig sind, dass Ruhe und Entspannung in diesen Monaten doch das wichtigste für mich und mein ungeborenes Kind wären, sorgen die Corona-Regeln bei Praxisbesuche, Schwangerenbetreuung und Entbindung nicht nur für ein erhöhtes Stresslevel, sondern drehen ganz nebenbei auch in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit das Rad der Zeit gehörig zurück.

WIR haben einen Termin!

Meine Schwangerschaft kam unerwartet und platzte mitten hinein in eine Zeit der Verunsicherung, denn Corona hat sowohl beruflich wie auch privat mein Leben aus den Angeln gehoben. Die erste Zeit heulte ich ständig. Stundenlang. Beim ersten Anruf in der gynäkologischen Praxis wurde mir gratuliert und ich verstand nicht, warum. Ich wartete vergeblich auf den Moment, in dem mich endlich jemand fragen würde, ob ich dieses Baby in Angesicht der Lage überhaupt bekomme wolle. Aber das war nicht das einzig Verstörende an diesen ersten Tagen der bewussten Schwangerschaft.

Völlig selbstverständlich hatte ich meinen Partner zur Konsultation mit der Gynäkologin mitgebracht. Doch an der Tür wurden wir gestoppt. „Nur Personen mit Termin dürfen in die Praxis!“, herrschte mich die schlechte gelaunte Sprechstundenhilfe an. Den Tränen nahe presste ich mein überzeugendstes „Aber wir haben einen Termin. WIR bekommen ein Kind!“ heraus. Aber das half alles nichts. 2020 bekommen immer noch ausschließlich Menschen mit Gebärmutter ein Kind, nicht aber ihre Partner:innen. Deshalb haben letztere auch keinen Termin in der gynäkologischen Praxis. Fertig. Aus. Egal in welchem emotionalen Zustand sich die schwangere Person befindet – ein Recht auf Beistand durch ihre:n Partner:in besitzt sie während der Corona-Pandemie nicht.

Die Gebärmutter trägt die Verantwortung

Wir haben uns als Gesellschaft gerade erst auf den Weg begeben, Elternschaft als einen gemeinsamen Prozess zu begreifen. Laut Statistischem Bundesamt (destatis.de) hat sich der Anteil der Väter in Elternzeit von 2009 bis 2018 verdoppelt – auch wenn der Anteil von Frauen noch immer weitaus höher ist. Dass es aber nicht nur um offizielle Regelungen, sondern vor allem einen gesellschaftlichen Prozess geht, beschreibt zum Beispiel Nils Pickert in seinem neuen Buch „Prinzessinnenjungs“, in dem er sehr deutlich macht: Wir müssen Jungen auch das notwendige Werkzeug in die Hand geben, um später fürsorgliche und verantwortungsvolle Männer beziehungsweise Väter zu werden, die sich gleichberechtigt in die familiäre Sorgearbeit einbringen.

Doch vieles von dem, was wir bislang auf gesellschaftlicher Ebene mit Blick auf ein neues Männerbild erreicht, was wir in puncto Teilhabe an Sorgearbeit auch institutionell verankert haben, um zum Beispiel Vätern die Möglichkeit zu geben, sich aktiv an Schwangerschaft und Elternsein zu beteiligen, verschwindet im Zuge der Corona-Pandemie klammheimlich in vermeintlicher Notwendigkeit. So zum Beispiel die Anwesenheit werdender Väter, oder allgemeiner gesprochen der Partner:innen, bei ärztlichen Untersuchungen und während der Geburt. Wenn nun die Verantwortung, bei der wir doch gerade dabei waren, sie gleichberechtigt zu verteilen, wieder alleinig den Schwangeren zugeschoben wird, hat dies nicht nur eine Auswirkung auf Frauen, sondern auch auf Männer. Sie werden nicht nur aus der Verantwortung, sondern auch als Väter weniger ernst genommen! Das ist ein echter Rückschritt beim Thema „Gleichberechtigung“ in der heterosexuellen Kernfamilie, dessen gesellschaftliche Konsequenzen wir hier und heute nur erahnen können.

Auch Information und Beratung ist Elternschaft

Ein Beispiel aus meiner Schwangerschaft: Bei einem meiner ersten Besuche bei der Gynäkologin klatschte mir diese zwei doppelseitig bedruckte Seiten vor die Nase, auf denen allerlei Tests genannt waren, die ich nun in der Frühschwangerschaft durchführen lassen könne. Darunter auch ein fein diagnostischer Ultraschall. „Das ist ja auch eine moralische Frage“, sagte sie, „über die ich sie aufklären muss und das habe ich hiermit getan.“ Völlig verunsichert war ich in diesem Moment nicht in der Lage genauer nachzufragen, taperte mit meinen Kopien nach Hause und brach dort erst einmal in Tränen aus. Dann informierte ich mich mit Hilfe meiner Hebamme sowie Eltern in meinem Bekanntenkreis und trug das Ergebnis meinem Partner vor, um dann gemeinsam mit ihm eine Entscheidung treffen zu können. Ich leistete also jene AufklärungsARBEIT, zu der meine Ärztin nicht bereit gewesen war.

Jetzt sagen Sie vielleicht: „Aber das hat doch mit Corona nichts zu tun! Das ist ein Fehler in unserem Gesundheitssystem!“. Einerseits stimmt das. Trotz jahrelangen feministischen Engagements wird mir erst jetzt bewusst, wie mangelhaft die Versorgung von Schwangeren ist, insbesondere hinsichtlich angemessener Beratung. In der gynäkologischen Betreuung, die ja oft nur wenige Minuten pro Termin umfasst, ist diese nicht vorgesehen. Gleichzeitig herrscht in Deutschland seit Jahren ein eklatanter Hebammenmangel. Auf einer hierfür eingerichteten Webseite des Hebammenverbands (unsere-hebammen.de), auf der Betroffene eine entsprechende Unterversorgung melden können, gibt es bis dato (Stand 25.8.2020) bereits 33.310 Einträge! Gleichzeitig müssen wegen eben jener Unterversorgung schon in der Frühschwangerschaft weitereichende Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel über den Ort der Geburt (Krankenhaus versus Geburtshaus versus Hausgeburt), für die eine Beratung dringend notwendig wäre.

Dieser Teil hat mit Corona also nichts zu tun, wird durch eine Pandemie-Situation aber natürlich auch nicht besser. Nehmen wir mein obiges Beispiel: Eine zweite Person bei der ärztlichen Untersuchung hätte bei der unzureichenden Aufklärung beispielsweise jenen Widerspruch einlegen können, den ich nicht zu geben imstande war. Zudem hätte ich im Nachgang nicht die Aufgabe der Recherche und Weitergabe der Information an meinen Partner übernehmen müssen und dieser wiederum wäre gleichberechtigt als Ansprechpartner involviert gewesen und hätte somit auch eigene Verständnisfragen stellen können. Elternschaft beginnt nämlich nicht mit der Geburt. Elternschaft beginnt mit genau diesen Beratungsgesprächen und den darauf aufbauenden Entscheidungen.

Corona-Kreißsaal: Mit Maske, aber ohne Partner*in

Die gravierendste Folge der Corona-Krise für Schwangere und ihre Partner:innen ist meines Erachtens jedoch die veränderte Situation in den Krankenhäusern (spiegel.de). In vielen Einrichtungen sollen die Gebärenden eine Maske tragen, Begleitpersonen sind im Kreißsaal gar nicht oder nur in der letzten Phase zugelassen, müssen direkt nach der Geburt den Raum verlassen und dürfen anschließend maximal eine Stunde am Tag zu Besuch kommen. Eine Folge davon ist übrigens, dass deutlich mehr Menschen als zuvor ambulant entbinden, was wiederum die kinderärztliche Versorgung an ihre Grenzen bringt, da die sogenannte U2, also die vorgeschriebene zweite Ganzkörperuntersuchung des Neugeborenen, nun vermehrt von niedergelassenen Ärzt:innen in ihren Praxen durchgeführt werden muss. Zwar könnten auch Wochenbetthebammen Teile der U2 durchführen, doch auch die sind ja – wie oben beschrieben – alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Die Regelungen im Kreißsaal und auf der Wochenbettstation in Bezug auf Masken und Begleitpersonen variieren nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern tatsächlich von Krankenhaus zu Krankenhaus. Mother Hood e. V. hat eine Übersicht erstellt, die über die Gesetzeslage in den verschiedenen Regionen Deutschlands informiert, weist aber auch daraufhin, dass letztlich nur ein Anruf kurz vor Anfahrt des Krankenhauses (also nach Einsetzen der Wehen!) eine sichere Auskunft über die aktuelle Regelung der entsprechenden Einrichtung ermöglicht, da diese natürlich durch das Fehlen allgemein verbindlicher Vorgaben auch vom aktuellen Infektionsgeschehen abhängig sind. Auffällig ist bei der Auflistung von Mother Hood e. V. übrigens, dass Schwangerschaft und Geburt in den Verordnungen oft gar nicht explizit erwähnt werden. Meist handelt es sich um allgemeine Besucher:innenregelungen und nur in Einzelfällen gehen die entsprechenden offiziellen Maßgaben auf die Begleitung oder Maskenpflicht im Kreißsaal ein. Damit obliegt es also den Einrichtungen selbst, Regeln für Geburten und Wochenbettbesuche festzulegen, was die Situation für Patient:innen unberechenbar macht. Gleichzeitig spricht die Abwesenheit dieser Themen eine klare Sprache: Die Bedürfnisse von Schwangeren und Gebärenden werden von den gesundheitspolitischen Entscheidungsträger:innen im Corona-Diskurs nicht mitgedacht!

Gleichzeitig – und diese Entwicklung ist mindestens genauso besorgniserregend – wird die Frage nach einer Maskenpflicht im Kreißsaal von Corona-Leugner:innen dafür instrumentalisiert, Masken im Allgemeinen als illegitime Beschränkung ihrer Freiheitsrechte zu stilisieren. Mother Hood e. V. reagierte darauf mit einer klaren öffentlichen Stellungnahme (mother-hood.de): „Wir distanzieren uns ausdrücklich von gesellschaftlichen Bewegungen, die das Masketragen zum Symbol für die Beschneidung von Freiheitsrechten stilisieren und die sich nicht deutlich von rechtsextremer Unterwanderung abgrenzen. Das Gleiche gilt für Internetseiten, deren Ziele und finanzielle Interessen undurchsichtig sind!“. An diesem Bespiel zeigt sich sehr eindrucksvoll, wie die Mobilisierung der selbsternannten Querdenker funktioniert: Wo die Politik Ängste und Bedürfnisse einer großen Personengruppe, in diesem Fall der Gebärenden und ihrer Partner:innen, schlichtweg ignoriert, haben Verschwörungstheoretiker:innen leichtes Spiel.

Insbesondere für Menschen, die ihr erstes Kind bekommen und natürlicherweise mit vielfältigen Sorgen und Unsicherheiten auf die Geburt blicken, ist die Unberechenbarkeit dieser Situation immens belastend. Mein Entbindungstermin beispielsweise liegt im Winter. Für mich ist vollkommen unklar, wie sich das Infektionsgeschehen bis dahin verändert und wie sich dies wiederum auf die Bedingungen im Kreißsaal auswirkt. Es ist für mich schier unerträglich, nicht zu wissen, ob mein Partner mir bei der Geburt zur Seite stehen kann. Dabei ist die Empfehlung der WHO in dieser Sache (who.int) ganz klar: Jeder Frau, auch wenn sie selbst mit COVID-19 infiziert ist, steht eine selbst gewählte Begleitperson bei der Geburt zu. Auch die deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die Deutsche Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (dggg.de) sowie der deutsche Hebammenverband (hebammenverband.de) schließen sich hier mit eindeutigen Statements an. Wieso also gibt es noch immer keine verbindlichen Vorgaben von politischer Seite, die Gebärenden Ihre Rechte zusichern und die Voraussetzungen für eine sichere und gesunde Geburt schaffen?!

Was das Tragen einer Maske während der Geburt angeht, stehen die Informationen der WHO ebenfalls im Widerspruch zur aktuellen Handhabung in vielen deutschen Krankenhäusern. Die Weltgesundheitsorganisation (who.int) sieht die Verantwortung klar beim medizinischen Personal: Dieses ist für den eigenen Schutz zuständig – von Masken für die Gebärenden ist an keiner Stelle die Rede. Mother Hood e. V. betont in ihren Corona-Informationen für Gebärende (mother-hood.de) ebenfalls: „Aus unserer Sicht MUSS die Klinik für die Sicherheit ihres Personals sorgen und nicht die Gebärende.“ Der Deutsche Hebammenverband hat schon im Mai eine entsprechende Pressemitteilung (hebammenverband.de) veröffentlicht, in der er sich klar gegen eine Maskenpflicht im Kreißsaal ausspricht.

Und dennoch: Über mein Instagram-Profil, auf dem ich unter anderem über meine Erfahrungen als Schwangere in der Pandemie-Situation berichte (instagram.com), habe ich viele verstörende Rückmeldungen von anderen Schwangeren und Eltern erhalten. Noch immer dürfen Partner:innen oft nur in der Endphase der Geburt in den Kreißsaal. In Kombination mit dem oben erwähnten Hebammenmangel führt dies zu einer unzureichenden Betreuung der Gebärenden, die nicht nur anhaltende psychische Folgen in Form waschechter Traumata haben kann, sondern auch ein unnötiges gesundheitliches Risiko für Mutter und Kind im Geburtsprozess darstellt. Davon, was die Abwesenheit von Partner:innen während der Geburt familiendynamisch bedeutet, also für den Prozess des gemeinsamen Elternwerdens, ganz zu schweigen.

Die fehlende Beachtung von Schwangeren in der Corona-Krise grenzt an einen Skandal

Freilich hat die sogenannte „Corona-Krise“ auf viele Bereiche unseres Lebens eine verheerende Auswirkung. Doch wird über manche eben mehr gesprochen als über andere. Über Fußball zum Beispiel liest sich in den Medien viel. Die Einträge im Corona-Ticker der Tagesschau, in denen es um die Frage nach Fußballspielen mit Live-Publikum geht, kann ich nicht mehr zählen. Über Schwangere und Gebärende lese ich nie etwas. In Deutschland gehören wir – im Gegensatz zur Schweiz oder den USA – trotz unseres verminderten Lungenvolumens und geschwächten Immunsystems nicht einmal zur Risikogruppe. Die entsprechende Information auf der Webseite unserer Bundesregierung stammt zwar von Mitte März 2020, allerdings sieht auch das RKI, Stand 29.7.2020 (rki.de), schwangere Personen nicht als überdurchschnittlich gefährdet an. Die WHO ist hierzu mal wieder leicht anderer Meinung. Die nämlich räumt ein, dass für Schwangere aufgrund der körperlichen Veränderungen und des geschwächten Immunsystems Atemwegserkrankungen grundsätzlich eine besondere Gefahr darstellten. Die CDC, also die Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention in den USA, zitieren auf ihrer Webseite sogar Studien (cdc.gov), die bei schwangeren Personen ein größeres Risiko für schwere Infektionen und die Notwendigkeit künstlicher Beatmung feststellen als bei nicht-schwangeren.

Ich bin keine Virologin. Ich kann also nur als schwangere Person sprechen, wenn ich sage, dass ich mich in der aktuellen Situation nicht gesehen, nicht beachtet fühle. Als Feministin trauere ich um den Rückschritt beim Thema gleichberechtigter Elternschaft und als Schwangere bange ich jeden Tag um die Möglichkeit, in Anwesenheit meines Partners zu entbinden. Ich leider unter der sozialen Isolation, die mein erhöhtes Schutzbedürfnis mit sich bringt, und unter dem Mangel psychosozialer Betreuung, die gerade in einer Zeit kollektiver Verunsicherung noch wichtiger wäre. Eine Schwangerenkonfliktberatung konnte ich aufgrund der Corona-Regeln nur telefonisch in Anspruch nehmen. Jegliche Betreuungsangebote sind noch schwerer zu erhalten als ohnehin schon: Sportkurse für Schwangere und Geburtsvorbereitung beispielsweise haben weniger Plätze und rentieren sich somit für die Anbieter:innen finanziell nicht mehr, was zu einem reduzierten Angebot führt. Die ohnehin schon mangelhafte Versorgungssituation für schwangere Personen in Deutschland verschärft sich, ohne dass die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt.

Schwangere und Gebärende fallen in den aktuellen Diskussionen um Hygienemaßnahmen und Virus-Eindämmung auf erschreckende Weise nicht nur unter den Tisch, sondern werden auch ihrer Rechte beraubt, wie zum Beispiel ihres Rechts auf eine vertraute Begleitung bei der Geburt. Es ist höchste Zeit für einen öffentlichen Diskurs über diese Themen und für differenzierte und an den Empfehlungen der entsprechenden Berufsverbände orientierte Maßgaben. Wenn wir es schaffen, Hygienekonzepte für Publikum in Fußballstadien zu finden, sollte dies für Begleitpersonen in Kreißsälen und auf Wochenbettstationen doch auch möglich sein!

Sophie Charlotte Rieger
Sophie Charlotte Rieger schreibt und spricht über Feminismus, Gleichberechtigung, Mutterschaft und Kino – zum Beispiel auf filmloewin.de und ihrem Instagram-Kanal @filmloewin.
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7 Kommentare

Heinecke 30. September 2020 - 2:35

Sie sprechen mir aus der Seele, ich schreibe hier als Hebamme, Mutter und Großmutter, mein erstes Enkelkind wurde in diesem Jahr geboren, und genau das was sie hier schreiben und beschreiben, haben meine Kinder erlebt. Ich schäme mich manchmal “System-Relevant” zu sein und dennoch vollkommen machtlos. In den letzten 6 Monaten wurden schätzungsweise 375000 Kinder geboren, damit wir mal eine Zahl haben, denn Zahlen bestimmen zur Zeit unser Leben. Ich kann nicht fassen, dass junge Eltern nach der Geburt nicht auch ältere Geschwisterkinder mit zu Besuch ins Krankenhaus bringen dürfen, in meiner Klinik darf die 86 jährige Nachbarin des Paares für immerhin 1 Stunde am Tag zu Besuch kommen. Das 2 jährige Kind der Eltern jedoch nicht ? dies hat zur Folge das gerade Mehrgebärende immer früher, nach der Geburt das Krankenhaus verlassen, nur um die Kinder zu Hause, nicht weiter zu traumatisieren. Denn auch sie haben gelitten unter Corona Bedingungen. Ein Hoch auf die Politik, der unsere Gesundheit in der Vergangenheit nie wirklich am Herzen lag, das sie uns nun vor einem Virus auch gegen unseren Willen schützt. SPÄTFOLGEN der zu frühen Be und Überlastung werden wir in ein paar Jahren sehen, keine Rückbildungsgymnastik ist auch keine Lösung, wâhrend wir auf weitere “Corona-Wellen” warten, versagen wir beim Start ins Leben gerade vollkommen.

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Sophie Charlotte Rieger 5. October 2020 - 10:21

Lieben Dank für diesen ausführlichen Kommentar. Gerade die Perspektive von Menschen, die im Kreißsaal bzw. auf der Wochenbettstation arbeiten, sind jetzt besonders wichtig, um auch die andere Perspektive zu beleuchten und professionelle Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Auch die Zahl der Geburten ist sehr beeindruckend und zeigt, entgegen dem Empfinden vieler Betroffener, dass es nicht um eine Randgruppe geht! Danke!

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Petra Sood 3. October 2020 - 12:45

Liebe Ines, deinen Kommentar, als Hebamme, Mutter und Großmutter, finde ich immens wichtig!
Aus dem Grunde haben wir deine Worte in unserem Instagram Account zitiert. https://www.instagram.com/p/CFzpD6uB2jE/
Liebe Grüße _Petra Sood

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Gerit Sonntag 5. October 2020 - 8:05

Liebe Sophie, du sprichst vielen aus der Seele! Als es zu Coronabeginn verboten war, mit Begleitung in den Kreissaal zu kommen haben sich verschiedene Eltern gewehrt. Das Resultat ist: individuelle kurzfristige Entscheidungen der jeweiligen Klinikleitung, also Null Planungssicherheit für Schwangere. Wir müssen dagegen angehen. Es wird Zeit, dass sich ALLE Feminist*inn*en hinter die Schwangeren stellen!

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Ariane 5. October 2020 - 22:36

Nicht aufregen ist als Schwangere in der aktuellen Corinakrise nicht möglich. Zu Beginn meiner Schwangerschaft war noch alles normal. Ich habe nur mit Mühe und Not eine Hebamme gefunden aber mein Partner durfte mich noch zu Arztterminen etc. begleiten. Dann kam Corona. Ich musste ab da sämtliche Termine bei Ärzten und im Krankenhaus alleine wahrnehmen. Alle (noch vor wenigen Wochen von Ärzten und der Hebamme als “so wichtig” angepriesenen) Kurse und Informationsveranstaltungen wurden abgesagt. Die Betreuung durch die Nachsorgehebamme war nicht mehr sicher. Wir wusste bis zum Tag der Geburt nicht, ob mein Partner beim (medizinisch notwendigen) Kaiserschnitt dabei sein darf. Und noch schlimmer: Wir wussten nicht, ob unser Baby nach der OP mit dem Vater auf mich warten darf oder ob das Baby alleine (!) warten muss bis ich aus dem Aufwachraum komme. Und ob mein Partner uns besuchen darf. Zu Beginn der Schwangerschaft wurde uns noch erzählt, wie wichtig doch das Bonding nach der Geburt zwischen Mutter+Baby+(!)Vater wäre. Aber durch Corona ist das völlig egal geworden. Und ich hatte den Eindruck, wie wenn es absolut niemanden interessiert. Und warum jede Klinik sich kurzfristig eigene Regeln ausdenken darf, empfinde ich als Frechheit. Ich wünsche Frau Rieger alles Gute für deinen restliche Schwangerschaft und die Geburt.

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Petra Imbery 7. October 2020 - 1:17

Dieser Meinung kann ich mich vollumfänglich anschließen.
Meine Tochter bekommt in diesen Tagen ihr erstes Baby und hat genau diese Dinge so erlebt. Ach ja, und sie soll bei alledem die Ruhe bewahren…
Meine Nachfrage im zuständigen Sozialministerium des Landes Ba-Wü, warum die Besuchsregeln und die Möglichkeit eines Familienzimmers oder auch die Regelungen zur Begleitung im Kreissaal durch meinen Schwiegersohn von einem Landkreis zum nächsten im gleichen Bundesland(!) so unterschiedlich und damit willkürlich aufgestellt werden, bleibt seit Wochen unbeantwortet. Wenn das kleine Familienglück zu dritt durch die verschrobene, willkürliche Ansicht eines (meist alten, männlichen) Entscheidungsträgers bestimmt wird, dann ist das leider selbsterklärend.

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Tanja 30. October 2020 - 3:07

Danke für den Artikel, der sehr gut zusammenfasst, was mir bezüglich Corona zu unserer Schwangerschaft durch den Kopf ging, ich schließe mich inhaltlich zu 100 Prozent an und bin froh, dass wir im August unser erstes Kind gemeinsam bekommen konnten und der Papa die ganze Zeit dabei war! Wir alle drei haben diese Geburt gemeistert, so mein Gefühl- und das ist das Gefühl, mit dem unser Leben als Familie startet! Das wünsche ich der Autorin ebenfalls.
Das Engagement der Feministinnen für Schwangere und Gebärende habe ich schon immer schmerzlich vermisst, aber während Corona ist es deutlich zu gering! Es braucht geballte Kraft, um der Politik hier auf die Füße zu steigen! Die Geburt ist kein Behandlungsvorfall, es ist eine existentielle Erfahrung für mehrere Menschen! Und auch der Austausch mit anderen Schwangeren in Vor- und Nachbereitungskursen ist kein Kaffeeklatsch, sondern Grundlage für die Geburt und die psychosoziale Betreuung vor Ort!

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