Anna: Eine Geschichte, die viele Frauen betrifft
Anna ist 36 Jahre alt und kommt zu mir in die Praxis, weil sie ständig müde ist.
Nicht dieses „Ich-habe-schlecht-geschlafen“-Müde. Sondern eine Müdigkeit, die sich in jede Zelle ihres Körpers gefressen hat.
Sie erkältet sich ständig, ist oft blass, kann sich bei der Arbeit kaum konzentrieren. Sie hat einen fünfjährigen Sohn, den sie liebt – und sie wünscht sich noch ein zweites Kind. Aber es klappt einfach nicht. Seit der ersten Geburt kämpft sie mit einer depressiven Verstimmung.
Ihr Hausarzt hat ihr ein Medikament verschrieben, das den Serotonin-Spiegel erhöhen soll. Aber die Erschöpfung ist geblieben.
Was viele nicht wissen: All das kann zusammenhängen. Denn hinter Annas Geschichte steckt ein unscheinbarer, aber entscheidender Mangel – Eisenmangel. Und dieser wird – gerade bei Frauen – oft übersehen.

„Ich bin einfach nur müde … oder?“ – Die unterschätzten Symptome des Eisenmangels
Wir kennen die klassischen Symptome von Eisenmangel: Müdigkeit, Haarausfall, brüchige Nägel, Infektanfälligkeit. Sie stehen oft ganz oben auf der Liste – und werden immerhin hin und wieder erkannt.
Was aber, wenn die Beschwerden anders aussehen?
Wenn eine Frau nachts regelmäßig mit Wadenkrämpfen aufwacht. Wenn sie morgens mit Kopfschmerzen in den Tag startet, ohne dass ein offensichtlicher Grund vorliegt. Wenn sie sich traurig, gereizt oder innerlich leer fühlt – obwohl „eigentlich alles gut“ ist. Oder wenn der Kinderwunsch sich einfach nicht erfüllt, ohne erklärbare Ursache.
In meiner Praxis sehe ich häufig genau das: Frauen mit unspezifischen Beschwerden, die jahrelang nicht mit Eisenmangel in Verbindung gebracht wurden. Dabei ist der Zusammenhang längst bekannt – wird aber im Alltag viel zu selten mitgedacht.
Warum so viele Frauen Eisen verlieren – und niemand darüber spricht
Die häufigste Ursache für Eisenmangel bei Frauen? Ganz klar: die monatliche Menstruation.
Was oft als „natürlich“ abgetan wird, kann zu einem echten Eisenverlust führen – Monat für Monat, Jahr für Jahr. Bei jeder Blutung verliert der Körper nicht nur Blut, sondern auch Eisen, das im Hämoglobin gebunden ist.
Aber wie viel ist eigentlich „normal“?
Etwa 60 ml Blutverlust pro Zyklus gelten als Norm. Das entspricht einem Eisenverlust von ca. 30 mg pro Periode – ein Wert, den eine gesunde Frau mit eisenreicher(!) Ernährung wieder ausgleichen kann.
Vorausgesetzt, sie isst regelmäßig rotes Fleisch, Hülsenfrüchte, grünes Gemüse und kombiniert diese Lebensmittel mit Vitamin-C-haltigen Produkten für eine bessere Aufnahme.
Aber viele tun genau das nicht – oder können es nicht, etwa aus ethischen, gesundheitlichen oder praktischen Gründen.

Das Paradox: Warum Eisenmangel die Blutung verstärken kann
Es klingt absurd – aber es ist medizinische Realität: Eisenmangel kann die Menstruation verstärken.
Obwohl es biologisch sinnvoll wäre, in Mangelsituationen die Blutung zu reduzieren, passiert oft das Gegenteil: die Blutung wird stärker, länger, unregelmäßiger.
Wie kann das sein?
Die Erklärung liegt im Einfluss von Eisen auf die Gebärmutterschleimhaut und die Blutgerinnung. Eisenmangel kann die Funktion der Enzyme stören, die an der Stabilisierung der Schleimhaut beteiligt sind. Auch die Thrombozytenfunktion, also die Fähigkeit zur Blutstillung, kann bei Eisenmangel eingeschränkt sein. Das bedeutet: Die Schleimhaut wird instabiler – und die Blutung stärker.
So entsteht ein Teufelskreis: Mehr Blutverlust → mehr Eisenmangel → noch stärkere Blutung.
Wie viel Blut verliere ich eigentlich? – Einfache Messmethoden für zu Hause
Viele Frauen haben keine Vorstellung davon, wie viel Blut sie während ihrer Periode wirklich verlieren. Aber es gibt Möglichkeiten, es grob einzuschätzen:
- Tampons und Binden: Ein normaler Tampon oder eine Binde nimmt etwa 5 ml Flüssigkeit auf. Wenn Du zählst, wie viele Tampons oder Binden Du an einem Tag benutzt – und wie voll sie jeweils sind –, bekommst Du ein Gefühl dafür, ob Du über dem Durchschnitt liegst.
- Menstruationstassen: Sie bieten die genaueste Methode. Auf den meisten Modellen ist das Volumen in Millilitern angegeben. So kannst Du genau sehen, wie viel Du pro Tag verlierst – und ob Du in Richtung über 80 ml kommst. Das gilt bereits als Hypermenorrhoe, also übermäßig starke Regelblutung.
- Subjektives Gefühl: Wenn Du regelmäßig Kleidung oder Bettwäsche wechseln musst, Nachts mehrfach aufstehst, Tampons und Binden kombinierst – sind das deutliche Warnzeichen für einen übermäßigen Blutverlust.
Diagnostik: Warum viele Frauen mit Eisenmangel als „gesund“ gelten
Blutuntersuchungen sollen Klarheit schaffen – und doch sind sie oft der Grund, warum Eisenmangel übersehen wird.
Denn viele Ärzt*innen schauen bei Verdacht auf Eisenmangel nur auf einen einzigen Wert: das Hämoglobin. Ist er im Normbereich, heißt es: „Alles in Ordnung.“
Doch das ist ein gefährlicher Irrtum.
Wie wird eine Anämie klassisch erkannt?
Eine Anämie – also eine Blutarmut – wird im Labor über zwei Werte festgestellt:
- Hämoglobin unter 11,5 g/dl (bei Frauen)
- Erythrozytenzahl (rote Blutkörperchen) unter dem Referenzwert
Ein faszinierender Fakt dazu:
1 Milliliter Blut enthält
- 4 bis 11 Milliarden rote Blutkörperchen,
- 4.000 bis 10.000 weiße Blutkörperchen
- und 150.000 bis 400.000 Blutplättchen.
Das zeigt: Die roten Blutkörperchen sind das dominante Element im Blut – und ihre Hauptaufgabe ist essenziell: Sauerstofftransport zu jeder Zelle im Körper.
Sinkt ihre Zahl – sinkt die Leistungsfähigkeit.
Aber: Der Körper kämpft lange, um eine Anämie zu verhindern. Er greift zuerst auf Eisenspeicher zurück.
Das Hämoglobin fällt erst spät – wenn die Speicher längst leer sind.
Deshalb reicht ein „guter Hb-Wert“ nicht aus
Viele Frauen kommen mit typischen Eisenmangelsymptomen in die Praxis – und gehen wieder, weil ihr Hb-Wert noch im Normbereich liegt.
Doch Hämoglobin ist der letzte Marker, der sich verändert. Wenn er fällt, hat der Körper seinen Eisenmangel schon lange nicht mehr kompensieren können.
Was wir zusätzlich brauchen, ist eine umfassende Diagnostik des Eisenstatus:
- Ferritin: zeigt den Eisen-Speicherwert
- Transferrin: Transporteiweiß für Eisen
- Transferrinsättigung: zeigt, wie viel Eisen wirklich transportiert wird
- CRP: Entzündungsmarker (wichtig zur Bewertung von Ferritin, da dieser bei Entzündung fälschlich erhöht sein kann)

Ferritin – der Speicherwert mit Tücken
Ferritin zeigt, wie viel Eisen im Körper auf Vorrat gespeichert ist – vor allem in Leber, Milz und Knochenmark. Der Laborreferenzbereich für Frauen liegt je nach Labor zwischen 10 und 170 ng/ml.
Und genau das ist das Problem.
Ein solcher Referenzbereich ist viel zu breit, um daraus abzuleiten, ob der Eisenstatus wirklich gut ist.
Eine Frau mit Ferritin 15 gilt als genauso „normal“ wie eine mit Ferritin 100 – obwohl sie sich komplett unterschiedlich fühlen.
Warum?
Weil Laborreferenzen keine optimalen Werte zeigen – sondern statistische Verteilungen in einer untersuchten Bevölkerungsgruppe. Wenn in dieser Gruppe viele Frauen mit Eisenmangel waren, rutscht der Referenzbereich automatisch nach unten – ohne dass das „gesund“ bedeutet.
Was ist also wirklich ein guter Ferritinwert?
Die amerikanische gastroenterologische Gesellschaft (AGA) empfiehlt: Ein Ferritinwert unter 45 ng/ml sollte bereits als behandlungsbedürftig gelten.
Viele Fachleute – mich eingeschlossen – sehen den idealen Ferritinwert für Frauen bei 80 bis 150 ng/ml.
Ein interessanter Funfact dazu: Die Laborreferenzwerte sind für postmenopausale Frauen oft deutlich höher. Das liegt aber nicht daran, dass diese Frauen mehr Eisen benötigen – sondern daran, dass Labore ihre Referenzbereiche an der Gesamtbevölkerung ausrichten.
Nach den Wechseljahren verlieren Frauen durch das Ausbleiben der Regelblutung kein Eisen mehr. Der Ferritinwert steigt – und das wird in den Referenzwerten abgebildet.
Erst wenn der Ferritinwert im optimalen Bereich liegt, stehen dem Körper genügend Eisenreserven zur Verfügung, um Energie, Stimmung, Schlaf, Hormonproduktion und Immunsystem zu unterstützen.

Orales Eisen: Warum viele Frauen es einnehmen – und trotzdem im Mangel bleiben
Die Antwort liegt oft in der Wahl des Präparats – und in der Art der Einnahme.
Denn: Nicht jedes Eisenpräparat ist gleich wirksam.
Viele denken: „Ich nehme doch Eisen!“ – und wundern sich, dass die Werte sich kaum verbessern.
Warum?
Nicht alle Tabletten, die Eisen enthalten, sind gleich effektiv. Das hängt vom chemischen Aufbau, der Dosierung – und davon ab, ob es sich um ein Arzneimittel oder nur um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt.
Der Goldstandard bei Eisenmangel sind Präparate mit zweiwertigem Eisen (Eisen(II)-sulfat). Die empfohlene Tagesdosis für Erwachsene liegt bei mindestens 100 mg elementarem Eisen. Diese Angaben findest Du in der Packungsbeilage unter „Wirkstoff“ und „Eisengehalt“.
Apotheke vs. Drogerie – was ist der Unterschied?
💊 Apothekenpräparate
(z. B. Ferrosanol, Tardyferon, Ferro Sanol Duodenal)
✔ enthalten meist hoch dosiertes zweiwertiges Eisen (bis zu 100 mg)
✔ wissenschaftlich gut untersucht
✘ oft schlechter verträglich (Übelkeit, Magenschmerzen, Verstopfung)
✘ sind rezeptpflichtig
🌿 Drogerieprodukte
(z. B. Eisentabletten oder -säfte aus dm, Rossmann, Reformhaus)
✔ meist besser verträglich, oft kombiniert mit Vitaminen
✘ enthalten oft nur 10-15 mg Eisen
✘ bei echtem Mangel nicht ausreichend dosiert
💡 Fazit
Drogerieprodukte eignen sich gut zur Erhaltung oder als sanfte Unterstützung – aber nicht zur Therapie eines echten Eisenmangels.
Eisen ist empfindlich – und hat eigene Regeln
Eisen mag keine Gesellschaft. Es wird am besten auf nüchternen Magen aufgenommen – also ohne Kaffee, Schwarztee, Milchprodukte oder Kalziumpräparate.
Und genau da liegt das Problem:
Wer will schon morgens nüchtern Tabletten schlucken und dann auf den geliebten Cappuccino verzichten?
Deshalb mein Tipp aus der Praxis:
Nimm Dein Eisen lieber abends vor dem Schlafengehen. Der Magen ist leer, und Du störst Deinen Alltag nicht.
Wichtig: Immer mit etwas Vitamin C (z. B. Orangensaft oder Acerola) kombinieren – das verbessert die Aufnahme deutlich.

Kann ich zu viel Eisen einnehmen?
Viele Frauen fragen sich: Kann ich Eisen überdosieren, wenn ich es regelmäßig einnehme? Die beruhigende Antwort: Nicht, wenn Du es oral einnimmst.
Der Körper hat einen eingebauten Sicherheitsmechanismus – und der heißt Hepcidin. Dieses Hormon wird in der Leber gebildet und steuert die Eisenaufnahme aus dem Darm. Wenn genug Eisen vorhanden ist oder eine Entzündung im Körper vorliegt, steigt der Hepcidin-Spiegel an. Dadurch blockiert Hepcidin den Transport von Eisen aus dem Darm ins Blut, und das überschüssige Eisen wird einfach ausgeschieden.
Das heißt: Der Körper nimmt nur so viel Eisen auf, wie er wirklich braucht. Selbst bei hochdosierten Präparaten wird die Aufnahme bei guten Eisenspeichern herunterreguliert.
Die Gefahr einer Eisenüberladung besteht nur in sehr seltenen Fällen, zum Beispiel bei der genetischen Erkrankung Hämochromatose, deshalb Eisenpräparate immer unter Laborkontrolle nehmen.
Wie schnell steigt Ferritin bei oraler Eisensubstitution?
Studien zeigen, dass bei täglicher Einnahme von Eisenpräparaten der Ferritinspiegel im Durchschnitt um etwa 5–10 ng/ml pro Monat ansteigen kann. In einer Studie führte die tägliche Einnahme von 30 mg Eisen über drei Monate zu einem durchschnittlichen Anstieg des Ferritins um 5,9 ng/ml. Bei hochdosierten Präparaten liegt der Anstieg bei etwa 10 ng/ml pro Monat.
Das heißt: Wenn eine Frau einen Ferritinwert von 20 ng/ml hat, müsste sie Eisen 8-12 Monate lang einnehmen, um einen optimalen Wert zu erreichen.
Das erweist sich in der Praxis oft als schwierig.
Der häufigste Fehler: Die Eisenpräparate werden nicht lange genug eingenommen. Sobald sich die Symptome bessern, setzen viele die Therapie ab – bevor die Speicher wirklich gefüllt sind.
Und genau hier stellt sich die Frage: Wann sind Eiseninfusionen sinnvoll?
Im Vergleich zu Tabletten wirken sie wie ein Turbo, der den Eisenspeicher schnell auffüllen kann.
Ich empfehle eine Eiseninfusion in folgenden Fällen
- Wenn orale Präparate nicht vertragen werden
- Wenn trotz regelmäßiger Einnahme kein ausreichender Anstieg der Werte erfolgt
- Bei Patientinnen nach bariatrischen Operationen – hier fehlen Teile von Magen oder Dünndarm, die für die Eisenaufnahme wichtig sind
- Bei aktiven Sportlerinnen und Sportlern (ja, auch Männer sind nicht selten betroffen)
- Bei starkem Eisenmangel (Ferritin unter 20 ng/ml) mit Symptomen
- Bei Kinderwunsch oder in der Schwangerschaft – denn hier zählt jede Woche
Eiseninfusionen – gefährlich oder einfach unterschätzt?
Das Wort „Infusion“ lässt viele zusammenzucken. „Ist das nicht gefährlich?“, fragen viele Frauen – und leider auch viele Ärzte.
Der schlechte Ruf kommt nicht von ungefähr: Frühere Eisenpräparate zur Infusion waren tatsächlich problematisch. Sie führten häufiger zu Allergien, Nebenwirkungen und schlechter Verträglichkeit – zurecht war man vorsichtig.
Aber Medizin entwickelt sich weiter.
Und heute stehen uns moderne Eisenpräparate der neuen Generation zur Verfügung: Venofer, Fermed und Ferrinject sind deutlich besser verträglich und wissenschaftlich gut untersucht.
Es ist wie mit der Hormonersatztherapie: Auch sie wurde durch eine einzelne Studie (WHI) in Verruf gebracht – und erst viele Jahre später rehabilitiert.
Beim Eisen ist es genauso: Es ist Zeit, veraltete Ängste loszulassen und moderne Therapieformen zu nutzen.

Und jetzt kommt ein Punkt, der fast nie besprochen wird: Eisen und Fruchtbarkeit.
Eisen spielt eine stille, aber zentrale Rolle im Hormonhaushalt – besonders bei Frauen mit Kinderwunsch. Für die Bildung von Östrogenen braucht der Körper das Enzym Aromatase, das Testosteron in Estradiol umwandelt. Und genau dieses Enzym ist eisenabhängig. Ist zu wenig Eisen vorhanden, läuft dieser Prozess auf Sparflamme – mit der Folge: zu wenig Östrogene, kein stabiler Zyklus, und häufig kein Eisprung. Auch die Schilddrüse und die Nebennieren brauchen Eisen zur Hormonbildung. Kein Wunder also, dass Eisenmangel einer der übersehenen Faktoren bei unerfülltem Kinderwunsch ist.
Wenn Du Dich in Anna wiedererkennst – mit Müdigkeit, Stimmungstiefs oder einem unerfüllten Kinderwunsch – dann liegt das nicht „nur“ an Stress oder am Alter. Vielleicht steckt etwas ganz Einfaches dahinter: ein Eisenmangel, den man beheben kann.
Die gute Nachricht: Eisenmangel ist behandelbar.
Mit der richtigen Diagnostik, einer gezielten Therapie und etwas Geduld kannst Du Deine Energie zurückgewinnen. Deine Hormone, Dein Immunsystem und sogar Deine Fruchtbarkeit profitieren davon.
Ich sehe es jeden Tag in meiner Praxis: Wenn der Körper endlich bekommt, was er braucht, erwacht die Lebensfreude wieder – die Haut strahlt, der Kopf wird klar, der Zyklus stabil, der Schlaf erholsam.
Lass Deine Werte richtig überprüfen. Und wenn es tatsächlich ein Eisenmangel ist – fang heute an, ihn ernst zu nehmen. Für Dich. Für Deine Gesundheit. Für Dein Leben.

Mehr zu Dr. Elena Steinheims Arbeit ist auf ihrer Webseite zu finden.
- Mehr zum Thema bei Kulmine: „Eisenmangel – ein verbreitetes Problem“