Neben der Arbeit für Kulmine ist es Petras Mission, Entspannung, Kraft und Selbst-Bewusstsein im Alltag zu erleben und zu vermitteln. Wie nebenbei prägt das natürlich auch Kulmine. Petra gibt ihr Wissen auch in Seminaren weiter – ohne große Worte, ohne dass man an das glauben muss, woran sie glaubt. Aber, wenn man es noch nicht weiß, kann man herausfinden, woran man selbst glaubt.
Den Fokus bewusst auf das Wesentliche zu legen, ist für Petra heute wichtiger denn je und das kann man von ihr lernen. Sie teilt ihre Erfahrung gerne mit Mitarbeitenden, die es interessant finden. Das ist nicht ganz selbstlos, denn sie liebt es, ein entspanntes Team um sich zu haben. Während meiner Arbeit an Petras Texten für entspannte und selbstbestimmte Feiertage begann ich, meine eigenen Erfahrungen zu hinterfragen. Und bei einem Entwurf zum Thema „SlowMotion“ wurde ich neugierig und bat Petra um mehr Informationen. So entstand das folgende Treffen.
Es ist ein Spätvormittag im Herbst, ich besuche Petra im Kulmine-Haus, um eine Einführung in SlowMotion zu bekommen. Sie begrüßt mich mit einem Glas Grüntee Jasmin, wir setzen uns an den Arbeitstisch im Erdgeschoss. „Lieferungen einlagern“ steht an einer Seite des Tisches, es erinnert mich an meinen letzten Besuch, als Petra mir die Abläufe bei Kulmine erklärte – es war mein Vorstellungsgespräch.
Heute bin ich eigentlich schon ganz ruhig und vorfreudig angekommen. Wir schweigen, genießen den Blick durch die bodentiefen Fenster in den herbstlichen Kulmine-Garten. Gräser wehen im Wind, Laub fällt von den Bäumen. Es ist still, im Gespräch werden wir wieder warm miteinander. Ich erzähle Petra, dass ich mich seit ungefähr drei Wochen sehr offen und bereit für Veränderungen, für Neues, für neue Routinen zum Fokussieren fühle. Ich freue mich auf den Dezember, denn ich habe mir vorgenommen, ihn dieses Jahr ganz bewusst zu erleben, mir einige explizite Zeiten nur für mich zu nehmen. Und dazu wird auch das Praktizieren von SlowMotion gehören, das Petra mir heute zeigen möchte.
Zuerst setzen wir uns einmal ganz bewusst hin. Ziehen die Pobacken etwas nach hinten, um gut auf den Sitzhöckern zu sitzen. Und ich spüre sofort den Unterschied zu vorher. Ich sitze gerade aufgerichtet, fühle mich zentriert und atme ruhig ein und aus. Wir wechseln noch ein paar Mal die Position, um den Unterschied wahrzunehmen. Dann stehen wir auf, stellen die Füße hüftbreit auf. Jetzt geht es um die Knie. „Drück die Knie mal ganz nach hinten durch“, weist Petra mich an. Es fühlt sich ungewohnt an, aber ich halte es eine Weile. Dann lösen wir die Knie wieder. Die Veränderung spüre ich ganz deutlich: Eben noch war mein Nacken ganz fest, Stirn, Augen und Kiefer waren angespannt. Nun sind sie weich, ich atme freier. Nach einigen Wiederholungen schütteln wir Arme, Schultern und Beine aus und lockern die verbliebenen Spannungen. Dann gehen wir zur Treppe ins Obergeschoss.
An der Treppe zeigt Petra mir, wie kraftvoll, aber energiesparend sie die Treppe nach oben steigt, wenn sie bewusst und achtsam mit dem ganzen Fuß auftritt und auch hier die Knie locker lässt. Ich habe erst Sorge, ob meine Schuhe in Größe 41 überhaupt ganz auf eine Stufe passen. Ich platziere die Füße bewusst, bleibe mittig, verlagere das Gewicht von links nach rechts, drücke mich kraftvoll ab. Ich fühle mich sicher, geerdet, zentriert und komme voller Energie oben an.
Dann ziehen wir uns warm an und gehen nach draußen. Petra hat mich gebeten, mit möglichst dünnen Sohlen zu kommen, und so trage ich meine Winterbarfußschuhe. Ein wenig bin ich in Sorge, dass ich in der nächsten Stunde im Freien kalte Füße bekommen könnte.
Den Weg, den wir gehen, kenne ich schon von meinem Vorstellungsgespräch Ende April. Wir gehen in barfußschuh-angemessenem Tempo. Immer wieder erinnert Petra mich daran, den Bauchnabel ganz leicht Richtung Wirbelsäule zu atmen, um mich aufzurichten. Unterwegs bleiben wir ab und an stehen. Schließen die Augen, spüren in uns hinein, halten inne. Wie stehe ich? Was fühle ich mit den Füßen durch die dünne Sohle? Wie bin ich da? Der Weg ist mit herbstlichem Laub bedeckt. Durch die Barfußschuhe gehen wir trotz rutschigem Laub viel sicherer als mit dicken Sohlen, weil wir den Boden genau spüren.
Dann gehen wir rückwärts. Zwischen Apfelbäumen. In zügigem Tempo. Die Perspektive wechseln, sagt Petra. Das helfe auch mal im Alltag, um einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Als ich zu wackelig werde, dreht Petra sich um und übernimmt die Begleitung. So gehe ich ruhig, aber zügig rückwärts und sehe die Natur um mich herum in umgekehrter Folge an mir vorbeiziehen.
Im Park angekommen, gehen wir erst ganz langsam. Richtig langsam. Noch langsamer. So langsam es geht. Ein Kinderwagen mit Hund kommt uns entgegen. Wir stehen fast, so langsam bewegen wir uns. Vermutlich denkt die Kinderwagen schiebende Mutter, wir haben Angst vor ihrem großen Vierbeiner. Dabei üben wir uns „nur“ in SlowMotion. Sie möchte uns vorbeilassen, also brechen wir diese Runde ab und gehen flugs weiter. Ich merke schon, wie ich es bedaure, plötzlich wieder schneller zu gehen. Ich genieße die langsame Bewegung bereits.
Das Langsamgehen kenne ich schon, ich habe es in einer Mutter-Kind-Kur kennengelernt. Schon da war ich beeindruckt, was dieser Fokus, dieses Einen-Fuß-direkt-vor-den-anderen-Setzen in mir bewirkt. Es beruhigt mich. Der Puls sinkt, das Gedankenkarussell wird langsamer, denn ich muss mich im Moment darauf konzentrieren, langsam zu bleiben, nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen.
Für die letzte große Übung lass ich mich mit geschlossenen Augen führen. Petra legt ihre Hand in meinen unteren Rücken und führt mich ein gutes Wegstück. Ich tue mich schwer, mit geschlossenen Augen sicher und zügig zu gehen, es wird wackelig. Petra nimmt meine Hand. Dadurch fühle ich mich stabilisiert, kann mich mehr auf ihre Führung einlassen. Ich genieße es, nur zu hören und zu fühlen, kann mich viel mehr darauf konzentrieren, weil ich nicht durch das Sehen abgelenkt werde.
Dann tauschen wir, ich lege meine Hand auf Petras Rücken. Fühle mich damit aber unsicher. Freue mich über ihr Vertrauen, habe selbst aber nicht das Vertrauen in mich, sie nur mit der Hand im Rücken führen zu können. So lege ich meine andere Hand auf ihren Oberarm, um sie besser lenken zu können. Und so gelingt es mir, sie trotz ihres erstaunlich zügigen Ausschreitens um ein Denkmal herumzulotsen. Dann machen wir uns auf den Rückweg.
Ich habe anderthalb Stunden intensiven Fühlens hinter mir, habe alles, was mich beschäftigt hat, zurückgelassen, mich voll auf Petras Begleitung in SlowMotion eingelassen. Ich fühle mich erfüllt, völlig ruhig und gelassen, tief entspannt. Das wird auch die nächsten Tage anhalten, erfahre ich später. Und ich habe muckelig warme Füße.
Petra:
Übst du einen nur Sekunden langen Stopp beim Tun im Alltag, wird es dein Leben bereichern. Geht nicht? Keine Zeit? Finde die Lücken! Beim Putzen, bevor du die Treppe hinuntergehst, mitten im Streit, statt zum Handy zu greifen – eigentlich zu allen Gelegenheiten. Nur nicht auf dem Zebrastreifen! Am Ende lehrt es dich sogar, wie du Gedanken, die sich selbstständig gemacht haben, anhalten kannst.
Wenn du mit dir nahen Menschen spazieren gehst, kannst du deine Augen schließen und dich führen lassen. Oder gehe, wo immer du bist, einmal 20 oder mehr Schritte rückwärts. Besonders dein Gehirn profitiert davon und automatisches Handeln und Denken wird mit der Zeit reduziert.
Ohne viel Extrazeit suchen zu müssen, können wir mehr zu uns finden. Das ist wie Urlaub im Alltag!