Frauengesundheit in eigener Hand – seit 48 Jahren!

Konkreter Anlass, das FFGZ Berlin zu gründen, war der Besuch zweier US-amerikanischer Frauen in Berlin, die über die Möglichkeiten der Selbstuntersuchung und der Selbsthilfe berichteten.
Inhaltsverzeichnis

Aus der Reihe: Ausgewählte Artikel der clio im Kulmine Magazin.

Die Zeitschrift clio steht für „die Verknüpfung von Wissen und Erfahrungen aus 40 Jahren Arbeit des Feministischen Frauen Gesundheits Zentrums“. Wir möchten die Vorarbeit, die die clio in den verschiedenen Bereichen der Frauenbewegung und Frauengesundheit geleistet hat und immer noch leistet, mit dieser Beitragsreihe honorieren. Wir fühlen uns geehrt, ausgewählte Artikel älterer Ausgaben, der ansonsten nur in gedruckter Form erscheinenden Zeitschrift, hier bei uns online stellen zu können. Alle Artikel dieser Beitragsreihe im Kulmine Magazin findest du unter clio-Redaktion und im Kulmine Onlineshop sind die aktuellen Ausgaben der clio erhältlich.

Die Entstehung des FFGZ (Feministisches FrauenGesundheitsZentrum)

Die Frauengesundheitsbewegung ging aus der Bewegung für die Straffreiheit der Abtreibung in der Bundesrepublik hervor: Stichwort § 218. Konkreter Anlass, das FFGZ Berlin zu gründen, war der Besuch zweier US-amerikanischer Frauen in Berlin, die über die Möglichkeiten der Selbstuntersuchung und der Selbsthilfe berichteten. 400 faszinierte Frauen sahen zu, wie sie sich in einem Frauenzentrum auf einen Tisch legten, ein Spekulum einführten und allen einen Blick auf ihren Muttermund ermöglichten. Mehrere Selbstuntersuchungs-Gruppen entstanden, aus einer entwickelte sich das FFGZ.

Bis zur Eröffnung eigener Räume sollten noch drei Jahre vergehen. Von Beginn an war das FFGZ ein Ort interdisziplinärer Teamarbeit. Es wurden Veranstaltungen und Kurse zu gesundheitlicher Selbsthilfe angeboten. Frauen tauschten sich über ihre Erfahrungen zu Menstruation, zu Sexualität und Verhütung aus, deckten die Fülle der Normierungen des weiblichen Körpers, die entwürdigenden Abtreibungsbedingungen, die Macht der Frauenärzte auf. Sie zeigten, dass das scheinbar Private politisch war, dass es Ausdruck der gesellschaftlichen Situation aller Frauen war. Die Frauengesundheitsbewegung öffnete die politische Diskussion darüber, dass die Praxis gesundheitlicher Versorgung abhängig davon ist, wie die Gesellschaft den Kontext von Frauen definiert.

Schwarzweiß-Foto des ersten FFGZ-Ladens

Von Beginn an politisch

Weibliche Körperlichkeit jenseits von Stereotypen zu thematisieren, Zusammenhänge zu körperlichem und sexuellem Erleben herzustellen, war damals revolutionär und begeistert noch heute viele Frauen.

Die Frauengesundheitsbewegung mit ihrer feministischen Gesellschaftskritik stieß damals nicht auf große Gegenliebe und demzufolge auf viele Widerstände. Schließlich wurde von Anfang an politisch agiert, herkömmliche Strukturen in Gesellschaft und Medizin in Frage gestellt. Dieses führte zu einer Kritik an der Machtposition der Ärzteverbände, der Pharmaindustrie und der Schulmedizin, insbesondere der Gynäkologie, die damals noch absolut männerdominiert war.

Von Anfang an richtete sich unser Blick auf die gesellschaftlichen Bedingungen von Gesundheit und Krankheit, auf die eigenen Potentiale in der Gesundung, auf salutogenetische Aspekte sowie auf Selbsthilfe und Prävention. Das Motto „Frauengesundheit in eigener Hand“ stand schon in den 1980er Jahren auf einem Plakat des FFGZ.

Damit war das FFGZ Berlin als Mitbegründerin der Frauengesundheitsbewegung nicht nur Vorreiterin für die Gesundheitsbewegung, sondern nahm die derzeitig überall diskutierten Eckpunkte in der gegenwärtigen Gesundheitspolitik vorweg. Von Anfang an setzte das FFGZ seinen Fokus auf Prävention, Gesundheitsförderung und Patientinnenbeteiligung. Alles Themen, die heute – in Zeiten der Ökonomisierung des Gesundheitswesens und von leeren Kassen – eine Renaissance erleben.

Das FFGZ Berlin hat von Beginn an den Bogen von der Theorie zur Praxis geschlagen. Es galt immer, mit ein zu beziehen, was Entwicklungen im Gesundheitswesen ganz konkret für Frauen bedeuten.

Altes schwarzweiß-Foto von drei jungen Frauen, die mit Diaphragmen in der Hand, auf dem Kopf und im Gesicht vor einer Tür mit einem handschriftlichen Schild mit der Aufschrift "Diaphragma-Anpassungsanstalt" posieren.

Achtung vor dem weiblichen Körper in der Medizin

Zahlreiche gesellschaftliche Diskussionen brachte das FFGZ mit in Gang: Beispiele dafür sind

  • pränatale Diagnostik,
  • unerfüllter Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin,
  • die Abtreibungspille,
  • Krebsfrüherkennungsprogramme,
  • gesundheitliche Folgen von Gewalt,
  • unnötige Gebärmutterentfernungen,
  • Medikalisierung weiblicher Lebensphasen

Männlich geprägte Medizin ist nach wie vor ein hochaktuelles Thema

Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt Zielgruppen wie sozial Benachteiligten, älteren Frauen, Migrantinnen, Müttern, Erwerbslosen und Alleinerziehenden, die spezifischen Benachteiligungen und damit größeren Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind.

Ein großes Thema seit den 70er Jahren ist die Vermeidung von Fehlbehandlungen und Übertherapien. Die Debatte über die Gebärmutterentfernung begleitet die Frauengesundheitsbewegung seit ihren Anfängen. Sie kritisierte, dass die Gebärmutter jenseits ihrer Funktion bei Schwangerschaft und Geburt als überflüssiges Organ angesehen wurde. Immerhin entfernten Ärzt:innen damals jeder dritten Frau im Laufe ihres Lebens die Gebärmutter. Die Öffentlichkeit ist inzwischen kritischer geworden, die Zahl der Gebärmutterentfernungen gesunken.

Ein immer noch aktuelles und hochbrisantes Beispiel der Medikalisierung weiblicher Lebensphasen ist die Hormontherapie in den Wechseljahren. Seit den 1980er Jahren wandte sich das FFGZ kritisch gegen die immer mehr in Mode kommende Hormontherapie, die in den 1990ern sehr vielen Frauen aus präventiven Gründen für mindestens zehn Jahre, besser noch lebenslang, von ihren Gynäkolog:innen angedient wurde – und das ohne wissenschaftliche Evidenz. 1990 veröffentlichten wir die erste Auflage der Wechseljahresbroschüre. Sie war damals eine Vorreiterin in der Kritik an der rasanten Zunahme der Verordnung von Hormonen, aber auch bei der Zusammenstellung von Selbsthilfemöglichkeiten als Gegengewicht zu einer fragwürdigen und krankmachenden Medizin.

Die auch heute noch verbreitete Strategie vieler Gynäkolog:innen, Frauen nicht ausreichend über die nachgewiesenen Risiken der Hormone und ihre gesundheitlichen Langzeitfolgen aufzuklären, zeigt, wie wichtig die unabhängige Informationsvermittlung des FFGZ von Anfang an war.

Zwar gibt es inzwischen eine Reihe kritischer Mediziner:innen, Einrichtungen, Ministerien und Krankenkassen, die den hormonkritischen Trend unterstützen, doch hormonfreundliche Gynäkolog:innen und die Pharmaindustrie geben keine Ruhe. Für sie gilt es, einen lukrativen Markt nicht leichtfertig aufzugeben – ein Skandal, der jedoch von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt bleibt.

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Veröffentlichung diverser Publikationen. Das Buch „Hexengeflüster“ aus dem Jahr 1975 ist als eines der ersten Bücher der neuen Frauenbewegung in Erinnerung. Es wurde u.a. von Dagmar Schultz und Gabriele Karsten, zwei Gründerinnen des FFGZ Berlin, verfasst und ist mit 70 000 verkauften Exemplaren ein Bestseller geworden.

Seit 1976 veröffentlicht das FFGZ die Zeitschrift clio. Ihr Konzept – die Vermittlung frauengesundheitsspezifischer Informationen, die Hilfe zur Selbsthilfe, der kritische Blick auf medizinische Entwicklungen – ist bis heute im deutschsprachigen Raum einmalig. Ratgeber gibt es zu Themen wie Wechseljahre, Endometriose, und Schilddrüse.

Die letzten 30 Jahre unserer Arbeit sind von einer immer stärker werdenden Kooperation und Vernetzung auf frauengesundheitspolitischer und gesundheitspolitischer Ebene geprägt, von der Arbeit in Gremien und Fachverbänden, in Arbeitsgruppen sowie bei Anhörungen im Bundestag.

Heute sind PatientInnenrechte und PatientInnenbeteiligung gesetzlich fest geschrieben. Gleichzeitig gibt es eine Flut von Zusatzleistungen, die selbst bezahlt werden sollen, eine rasante Entwicklung in der Forschung und neue Behandlungsprogramme, die für die Einzelnen kaum noch zu überblicken sind. Und wir wissen alle, dass Frauen eine andere Medizin als Männer brauchen. Frauengerecht und qualitätsgesichert dürfen daher keine Schlagworte bleiben.

Mittlerweile ist das FFGZ fester Bestandteil der Versorgungslandschaft in Berlin. Es steht für Kompetenz im Bereich Frauengesundheit, Empowerment für Frauen hin zur informierten Entscheidung, für eine frauengerechte Gesundheitspolitik und Versorgung und – ganz wichtig heute – für Unabhängigkeit in einem von Partikularinteressen  und von ökonomischen Interessen geprägten Gesundheitswesen.

Nirgends im deutschsprachigen Raum gibt es unserer Meinung nach so viel geballtes Wissen zum Thema Frauengesundheit zu finden, wie in den gesammelten Ausgaben der clio. Zwei­mal jähr­lich kommt ein Heft mit einem ak­tu­el­len The­men­schwer­punkt her­aus. Alle Aus­ga­ben der clio kannst du direkt beim FFGZ und im Buchhandel unter der ISSN 0933-0747 bestellen, oder du besuchst die Bi­blio­thek des FFGZ e.V. in Berlin. Alle Artikel dieser Beitragsreihe im Kulmine Magazin findest du unter clio-Redaktion. Im Kulmine Onlineshop sind die aktuellen Ausgaben der clio erhältlich.

Clio-Redaktion
Nirgends im deutschsprachigen Raum gibt es unserer Meinung nach so viel geballtes Wissen zum Thema Frauengesundheit zu finden, wie in den gesammelten Ausgaben der clio. Zwei­mal jähr­lich kommt ein Heft mit einem ak­tu­el­len The­men­schwer­punkt her­aus. Alle Aus­ga­ben der clio kannst du direkt beim FFGZ bestellen oder du besuchst die Bi­blio­thek des FFGZ e.V. in Berlin. Alle Artikel dieser Beitragsreihe im Kulmine Magazin findest du unter clio-Redaktion. Auch im Kulmine Onlineshop sind die aktuellen Ausgaben der clio erhältlich.
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